Bürgerspital: Bei der früher geplanten Fachklinik für Amputationsnachsorge winkten sie ab, doch die Pläne der Westfalen-Klinik werden von den Kostenträgern begrüßt
Wertheim. Die Genehmigung des Stuttgarter Gesundheitsministeriums steht noch aus, doch dem Betrieb des Wertheimer Bürgerspitals dürfte nichts mehr im Wege stehen. „Wir befinden uns dazu gerade in der verwaltungsinternen Abstimmung, gehen aber davon aus, dass eine Entscheidung zügig fallen wird“, teilt eine Sprecherin des Ministeriums auf FN-Anfrage mit. Während die im Januar anvisierte Fachklinik für Amputationsmedizin hauptsächlich an der ausbleibenden Zusage der Krankenkassen zur Kostenübernahme gescheitert war, wird das Bürgerspital aufseiten der Kostenträger begrüßt.
Im August nahm Johannes Reimann, Geschäftsbereichsleiter Sektorenübergreifende Versorgungsplanung bei der AOK Baden-Württemberg, gegenüber dem Ministerium zu den Plänen des Bürgerspitals nichtöffentlich Stellung. Im Namen der AOK, der BKK Landesverband Süd, der IKK und der Sozialversicherung für Landwirtschaft schrieb er in einer E-Mail, die den FN vorliegt, an das zuständige Referat für die Krankenhausplanung, dass man die „Perspektive einer stationären Grund- und Regelversorgung in Wertheim“ begrüße. „Insbesondere unter dem Aspekt einer wohnortnahen Versorgung“ würde man „im Szenario eines ersatzlosen Wegfalls des Klinikstandorts durchaus eine Sicherstellungsproblematik“ erkennen.
Völlig neue Töne
Für die Wertheimer Verantwortlichen waren dies völlig neue Töne, gab es doch bis dahin weder aus dem Ministerium noch vom Tauberbischofsheimer Landratsamt Signale, dass die wohnortnahe Sicherstellung der stationären medizinischen Versorgung bei einer Schließung der Klinik gefährdet wäre. Johannes Reimann bezog sich in seinem Schreiben auf Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen und die einschlägige Rechtsprechung in puncto „Fahrdistanzen für die Bevölkerung“ zur nächsten Klinik.
Auf Nachfrage der FN erklärt Reimann, es gebe zwar „keine unmittelbaren bundes- oder landesgesetzlichen Vorgaben in Form ‚harter Minuten- oder Kilometergrenzen, innerhalb derer jeder Bürger ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung erreichen kann’“. Allerdings existierten „untergesetzliche Normen mit entsprechenden Vorgaben“, wie zum Beispiel eine Richtlinie des G-BA zu Sicherstellungszuschlägen für Kliniken.
Diese bestimme Kriterien für Krankenhäuser, die aus Gründen der Sicherstellung als „basisversorgungsrelevant“ gelten – und unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf Vergütungszuschläge haben. Neben weiteren Kriterien sei demnach ein Krankenhaus basisversorgungsrelevant, wenn es die Voraussetzungen der Basisnotfallstufe gemäß der Notfallstufen-Regelung des G-BA erfüllt. „Wenn nach dessen Wegfall die Fahrzeiten zur dann nächstgelegenen Klinik mit Fachabteilungen Innere Medizin und Chirurgie 30 Pkw-Minuten für einen nennenswerten Bevölkerungsanteil (mindestens 5000 Einwohner) übersteigen würden“, sei dies der Fall.
Einen ähnlichen Ansatz verfolge der Gesetzgeber auch in der im Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz angelegten neuen Systematik der Krankenhausplanung mittels Leistungsgruppen. Danach können Kliniken bestimmte Versorgungsaufträge ausnahmsweise auch dann zugewiesen werden, wenn sie bestimmte Qualitätsvorgaben zwar nicht erreichen können, aber andernfalls die genannten Fahrzeiten zur nächstgelegenen Klinik mit dem entsprechenden Versorgungsauftrag im jeweiligen Versorgungsgebiet überschritten würden.
Johannes Reimann beruft sich auch auf die Rechtsprechung und verweist auf ein Urteil des Bundessozialgerichts von 2012. Dort heißt es, dass für Krankenhäuser eine gesetzliche Regelung zur wohnortnahen Versorgung zwar fehle. „Allerdings ist eine Versorgung in der Regel nur dann bedarfsgerecht, wenn sie wohnortnah erfolgt“, so die Bundesrichter. Jedoch könnten auch lokale Besonderheiten berücksichtigt werden. Dies könne zum Beispiel gelten, „wenn ein Krankenhaus am Rande eines Landkreises angesiedelt ist und die Patienten zu einem erheblichen Teil aus dem benachbarten Landkreis stammen“.
Urteil des Bundessozialgerichts
Hier könne eine die Landkreisgrenzen überschreitende Festlegung des räumlichen Einzugsbereichs in Betracht kommen. Der Senat des Bundessozialgerichts habe schon früher „die Einbeziehung von Krankenhäusern, die 34, 38, 40 und 47 Kilometer entfernt liegen, als sachgerecht bewertet, weil die Patienten bei der Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung auf derartige Grenzen regelmäßig keine Rücksicht nehmen.“ Mit anderen Worten: Bei der wohnortnahen Versorgung muss auch die Bevölkerung jenseits der Landkreisgrenzen berücksichtigt werden. Und der Krankenhausstandort Wertheim wurde stets auch von Menschen aus der Nachbarschaft genutzt.
Johannes Reimann stellt klar, dass angesichts der Rechtslage Bürger, Kommunen oder Krankenkassen keinen Träger auf dem Klageweg zwingen könnten, „an einem bestimmten Ort entweder ein bestehendes Krankenhaus weiter zu betreiben oder ein neues zu errichten“. Auch die in Bezug auf Wertheim viel diskutierte Pflichtträgerschaft des Landkreises nach dem Landeskrankenhausgesetz kenne „keine Kilometer- oder Minutenvorgaben, sondern beruft sich abstrakt auf das Erfordernis einer Bedarfsnotwendigkeit“. Der Landeskrankenhausplan Baden-Württemberg verzichte zudem auf konkrete Schwellenwerte für die Erreichbarkeit einer Klinik.
Notwendige Grundversorgung
Aus Sicht der AOK bestehe am Standort Wertheim aber „weiterhin die Notwendigkeit einer Grundversorgung sowie einer Basisnotfallversorgung“ – vor allem „mit Blick auf die Randlage der Stadt Wertheim im Main-Tauber-Kreis sowie die Entfernungen zu den nächstgelegenen Häusern der Grund- und Regelversorgung innerhalb und auch außerhalb des Kreises“. Daher begrüße man die Perspektive eines Krankenhauses mit den Fachabteilungen Innere Medizin und Chirurgie – verbunden mit der Ankündigung des künftigen Trägers, eine Basisnotfallversorgung im Gebäude des insolventen Krankenhauses der Bayerischen Rot-Kreuz-Schwestern zu betreiben.
„Im Falle einer Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes übernimmt die Westfalen-Klinik als Trägerin des Bürgerspitals Wertheim eine konkrete Verantwortung für die medizinische Grundversorgung im nördlichen Kreisgebiet“, so Reimann.
„Wir bekennen uns zu unserer Verpflichtung, die von der Westfalen-Klinik zugesicherte Patientenversorgung im Rahmen der geltenden Gesetze und Vereinbarungen leistungsgerecht zu vergüten. Es wäre zu begrüßen, wenn alle Akteure in Land, Kreis und Kommune, die für die Sicherstellung und Versorgung Verantwortung tragen, ihren Teil zum Gelingen einer verlässlichen Versorgung beitragen“, nimmt er abschließend Stellung.
Quelle: Zeitung – Wertheim – Donnerstag 19. SEPTEMBER 2024 / Seite 7