Operation Wiederbelebung
Das Wertheimer Krankenhaus soll ab Januar wieder öffnen, die Vorbereitungen laufen seit Wochen auf Hochtouren. Das Gebäude, das seit September der Stadt gehört, soll mehr als eine schöne Fassade bieten. Doch im Inneren warten jeden Tag neue Herausforderungen.
Es ist eine Art Gewitter an Zahlen, Namen und Terminen, das derzeit jeden Tag im Kopf von Thomas Müller wütet: „Das ist intensiv und heftig, aber es macht auch Spaß, zu sehen, dass es vorangeht“, sagt der Geschäftsführer der Wertheimer Stadtentwicklungsgesellschaft Steg. Er ist quasi Hausherr im Gebäude der ehemaligen Rotkreuzklinik und koordiniert mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Wiederinbetriebnahme eines Krankenhauses. Dutzende Termine, Dutzende Namen, mehr als ein Dutzend Firmen. Mehr als 15 Unternehmen arbeiten dort teils zeitgleich, um alles für den Start vorzubereiten, drei Mieter haben eine Menge Fragen. Und Thomas Müller muss ein verdammt gutes Gedächtnis haben. „Das ist das beste Beispiel, wie man vorwärts kommt. Sprechen und Lösungen finden.“
Unter Zeitdruck
Nicht nur medizinisch laufen die Vorbereitungen, sondern auch beim Drumherum. Zum Beispiel beim Ortstermin vergangene Woche: Annemarie Kannchen heißt die Frau, die Mediclin geschickt hat, um ab 1. Dezember die Klinikküche wieder an den Start zu bringen. „Hat die Grundreinigung geklappt? Sind die Geräte geliefert worden? Geht es bei den Kaffeemaschinen voran?“, fragt Müller und sagt immer wieder: „Wenn wir was tun können, bitte melden.“
Für die Fragen der Mediclin-Mitarbeiterin hat er sofort Antworten parat, er weiß, dass es schnell gehen muss, damit alles funktioniert und der Zeitplan gehalten werden kann. „Der Wasserschaden ist auch behoben“, sagt Müller. „Der hat uns kurz vorher noch mal ins Schwitzen gebracht.“ Beide lachen, weil alles gut ausgegangen ist.
Das sei ein gutes Beispiel, wie gut alles funktioniere, sagt Müller. Alle Firmen, die irgendwo mit dem Haus verbunden seien, stünden schnell für Aufträge bereit, sagt der Steg-Geschäftsführer. Selbst die, die am Ende der Insolvenzphase auf offenen Rechnungen sitzen geblieben sind. „Die sagen auch: Wir machen einen Neustart“, sagt Müller. „Das ist wirklich beachtlich. Noch keine Firma hat abgesagt.“ Die Wiederinbetriebnahme des Krankenhauses sei ein Gemeinschaftsprojekt. Medizintechnik-Firmen, Trockenbauer, Maler, Elektriker und IT-Experten geben sich die Klinke in die Hand.
Motivation stimmt
„Das ist hier ein Wahnsinns-Lokalpatriotismus“, hat auch Kannchen festgestellt. Sechs der sieben Küchenmitarbeiter, die zum Start angestellt sind, stammen aus dem alten Klinik-Küchen-Team. Auch für eine künftige Vergrößerung gebe es schon Bewerbungen, sagt Kannchen.
Den Start macht man mit der Belieferung der Evangelischen Sozialstation, die auch schon Kundin der alten Krankenhausküche war. Ab Mitte Dezember kommt das Bürgerspital dazu, die Cafeteria soll nach einer Mitteilung der Stadt Wertheim ab 7. Januar auch für die Öffentlichkeit verfügbar sein und neben Mittagsmenüs Frühstück anbieten.
Ein erstes Probeessen hat am Donnerstag Wertheims Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez mit Fachbereichsleiter Helmut Wießner, Wirtschaftsförderer Jürgen Strahlheim und Steg-Geschäftsführer Thomas Müller absolviert. „10 von 10 Punkten“ vergab das Stadtoberhaupt später im Netzwerk Facebook für das Essen, sowohl Stadt als auch Mediclin-Vertreter sprechen von einer guten Zusammenarbeit. „Das Team vor Ort ist hoch motiviert, und wir freuen uns alle gemeinsam auf die neue Aufgabe. In der nächsten Zeit finden noch einige Mitarbeiterschulungen statt“, wird Jörg Lauer vom Verpflegungsbereich von Mediclin in der Mitteilung zitiert.
Mediclin-Küchenleiterin Kannchen sagt, die Küche könne leicht 1000 Essen pro Tag liefern und hat dabei auch externe Kunden wie weitere Pflegedienste, aber auch Schulen und Kindergärten im Blick.
Vor allem die Elektro-Firmen haben reichlich zu tun: „Wir gehen weg von Schlüsseln, hin zu Transponderlösungen – in Absprache mit den Mietern. Dann können wir codieren, wie wir es brauchen“, sagt Müller. Währenddessen sind Elektroniker einer örtlichen Firma gemeinsam mit Brandschutz-Fachleuten und Steg-Architekt Thomas Hemmerich im Foyer der Klinik unterwegs, um die Brandmeldeanlage anzupassen. Dort entstehen hinter Staubschutzwänden gerade auch ein neuer Empfang für das Bürgerspital sowie drei Backoffice-Plätze zur Aufnahme von Patienten. Nur ein paar Meter entfernt – am alten Empfang – werden künftig Mediclin-Patienten empfangen.
Neue Beschilderung
Nicht nur Großes ist hier zu tun, sondern auch Kleines: zum Beispiel eine neue Beschilderung innen und außen. Stück für Stück verschwinden nun alle Spuren der einstigen Rotkreuzklinik: Von den Eingangs-Glastüren sind die Symbole längst entfernt, in dieser Woche ist auch die Stele an der Zufahrt durch eine neue ersetzt worden. Die Fassade muss nicht nur gereinigt, sondern gänzlich saniert werden. „Da ist damals schon beim Bau was schiefgegangen“, sagt Müller.
Die Sanierung sei eingepreist, auch eine neue Farbgebung soll es in Abstimmung zwischen den Mietern, Steg und Stadt geben. Zumindest der Eingangsbereich soll bis zum Jahresende in neuem Glanz erstrahlen, dann folgen die weiteren Gebäudeabschnitte.
Thomas Müller hätte nicht gedacht, irgendwann mal Hausherr über ein Krankenhaus zu sein, als er Anfang 2023 die Steg-Geschäftsführung von Edgar Beuchert übernahm. Doch dann kamen im September 2023 das Klinik-Schutzschirmverfahren, im Juni 2024 die Klinikschließung und schließlich im August der Beschluss der Stadt zum Klinikkauf, um das Schlimmste zu verhindern: „Das sind schon extreme Herausforderungen. Das letzte halbe Jahr war schon brutal intensiv“, sagt Müller, der seine Rolle aber eher in den Hintergrund stellen will: Die Kollegen bei der Steg hätten ihm den Rücken freigehalten, damit er den Fokus auf das Krankenhaus legen konnte. „Das ist ja ein Zusammenspiel aller, um für Wertheim wieder eine Gesundheitsversorgung im Krankenhaus zu haben“, verweist er auch auf die Rollen der Mitarbeiter der Stadtverwaltung oder der Gemeinderäte und anderer Beteiligter. „Ich hoffe sehr und bin auch guter Dinge, dass wir das alles hinbekommen. Es wird ruckeln und Themen geben, wo man nacharbeiten muss. Aber wir sind auf einem guten Weg.“
Dafür mitverantwortlich sind auch Ermin Eslamcevic und Roland Drescher, Neuling und Routinier bei der Betriebstechnik des Krankenhauses. Während der ehemalige Alfi-Mitarbeiter Eslamcevic seit 1. Oktober beim Aufbau des Betriebs mithilft, ist Drescher ein Alteingesessener, der seit 2013 für die Rotkreuzklinik als Betriebstechniker gearbeitet hat. „Im Moment sind wir von morgens sechs bis abends sechs am Rödeln“, sagt Drescher. Zwei seiner Kollegen haben während der Insolvenzphase schließlich die Segel gestrichen, Drescher blieb: „Ich habe für mich gesagt: Ich bin hier groß geworden in dem Haus und hänge da dran.“
Immer geblieben
Er hat nicht nur 2016 den Umzug in den Neubau mitgemacht, sondern alle Höhen und Tiefen des Insolvenzverfahrens: Als im Juni 95 Prozent des Personals gekündigt wurden, machte Drescher weiter. „Wir haben keine Freistellung bekommen. Wir haben durchgeschafft.“ Und das selbst dann, als im September klar wurde, dass das versprochene Gehalt für diesen Monat ausbleiben würde. Denn da war schon klar, dass die Stadt das Gebäude kauft. Ein Stillstand der Gebäudetechnik in der Übergangsphase hätte große Schäden angerichtet. Außerdem wurden das Dialysezentrum und die Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung im Gebäude weiter durchgehend betrieben.
Jetzt, wo auch der Rest des Gebäudes wieder ans Laufen kommen muss, ist Drescher als Experte gefragt, um den externen Firmen bei einer Vielzahl von Fragen zur Seite zu stehen. „Die ziehen durch, die geben Gas“, hat auch Eslamcevic festgestellt.
Unterstützung gibt es von den Stadtwerken, im IT-Bereich genauso wie bei der Gebäudeenergieversorgung. Denn nicht nur die Telefonanlage, sondern auch die Wärme-, Frischluft- und Stromversorgung muss auf drei Parteien aufgeteilt werden – inklusive getrennter Abrechnung. „Das war ein Riesenthema zu Beginn, und keiner wusste so recht, wie wir das hinkriegen“, sagt Müller.
Die Lösung brachten die Stadtwerke mit Hilfe einer Messtechnikfirma: „Die entwickeln ein Messkonzept und können alle Verbräuche über die Gebäudeleittechnik messen“, erklärt Müller. „Die müssen keine Zwischenzähler einbauen, sondern können über Ummantelungen um die Stromkabel die Impulse messen, um zu sehen, wie viel Strom wo hingeht.“ Als sich diese Lösung ergab, sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen, gibt Müller zu. Alles umzubauen, wäre wohl nicht nur technisch, sondern auch finanziell unmöglich geworden.
„Wenn wir es schaffen, wie wir uns das vorstellen, dann ist das ein Vorzeigeobjekt“, ist sich Müller sicher. Auch aus der Ferne wird auf das Wertheimer Projekt geblickt. Und für die Main-Tauber-Stadt ist es vielleicht die letzte Chance, weiter ein Krankenhaus zu haben. Müller bleibt optimistisch: „Ich hoffe, dass sich alle so einigen, dass es funktioniert.“
Hintergrund: Auswirkungen des späten Haushalts auf den Klinikstart
Der Wertheimer Gemeinderat wird erst im Jahr 2025 über den Haushalt für das kommende Jahr beschließen: Ursprünglich sollte der Etat noch im Dezember verabschiedet werden, enthalten darin auch die nötigen Mittel für einen Defizitausgleich der Notfallversorgung am Bürgerspital. Doch am Montag wurde das Thema im Finanzausschuss von der Tagesordnung genommen: Erst soll feststehen, welchen konkreten finanziellen Beitrag der Main-Tauber-Kreis leistet. Denn dieser Betrag ist zwingend notwendig, damit die Stadt ihren Haushalt vom Regierungspräsidium genehmigt bekommt.
Der Kreistag hat zwar grundsätzlich finanziellen Hilfen zugestimmt, bisher aber öffentlich noch keine konkreten Summen beraten. Die Stadt soll zur Klärung offener Fragen noch zusätzliche Informationen an die Landkreisverwaltung liefern, heißt es. Stadt, Landkreis und Regierungspräsidium sind dazu im Austausch, die Gespräche werden im Dezember fortgeführt.
Möglich ist, dass der Landkreis finanzielle Hilfen im ersten Quartal 2025 per Nachtragshaushalt auf den Weg bringt. Auf dieser Grundlage könnte dann auch die Stadt Wertheim ihren Haushalt beschließen.
Auf den Betrieb von Mediclin hat der späte Haushalt keinerlei Einfluss, sagt die städtische Pressesprecherin Angela Steffan auf Anfrage unserer Redaktion. Auch der Testbetrieb der bariatrischen Klinik des Bürgerspitals könne Mitte Dezember starten. Zudem soll das Bürgerspital ab Januar stufenweise an den Start gehen. Momentan ist noch offen, ob sich die Verzögerung im Haushalt auch auf den Start der Notfallversorgung auswirkt.
Quelle: WERTHEIM SAMSTAG/SONNTAG, 7./8. DEZEMBER 2024 17 – Zeitung