Bürgerspital: Geschäftsführer Alexander Gläser erklärt, warum ein Spezialangebot überlebenswichtig für die Notfallversorgung in Wertheim ist
Notfälle versorgen, Leben retten und weiter wachsen: Das ist das Ziel des Wertheimer Bürgerspitals. Nach dem Start im Januar zieht Geschäftsführer Alexander Gläser ein bisher gutes Fazit – für den medizinischen Bereich. Bei einem Vortrag vor etwa 60 Zuhörern am Dienstagabend hat er auch einen dringenden Appell an die Kreisräte des Main-Tauber-Kreises. Denn die Beteiligung des Kreises am Defizitausgleich der Notfallversorgung sei „überlebensnotwendig“. Gebe es nichts, sei der Ausbau zu einer Rund-um-die-Uhr-Notfallversorgung nicht machbar, auch der derzeit eingeschränkte Betrieb wochentags zwischen 8 bis 18 Uhr könne nicht weitergeführt werden, macht der 39-Jährige klar.
Heißt: Auf das Votum der Kreisräte kommt es an, ob die Stadt Wertheim 2,75 Millionen Euro für den Ausgleich möglicher Verluste der Notfallversorgung am Bürgerspital zusammenbekommt oder nicht. Am Mittwoch entscheiden sie nichtöffentlich über mögliche Kreis-Gelder, die Kreisverwaltung will ein Ergebnis der Beratungen an diesem Donnerstag bekannt geben.
Viel Interesse
Die Senioren-Union hatte zur Veranstaltung in den Vortragsraum neben der Krankenhaus-Cafeteria eingeladen. Das Interesse ist groß, nur mit Mühe finden die rund 60 Zuhörer Platz. Auch Jochen Müssig als Vorsitzender der Senioren-Union beschäftigt das Problem des Defizitausgleichs für die Notaufnahme. Zum Glück könne man auf die Unterstützung der Stadt und der Umlandgemeinden zählen und auch auf Kreisebene sich weiter für eine möglichst große Unterstützung des Krankenhauses einsetzen. „Drücken wir die Daumen, dass etwas mehr rauskommt als das, was wir bisher hören“, so Müssig. Der angebotene Betrag – später werden aus der Runde 625.000 Euro genannt – sei von den Hoffnungen und Erwartungen der Stadt Wertheim „noch weit entfernt“.
Klinikbetreiber Alexander Gläser nimmt sich viel Zeit, um zu erklären, warum er das Projekt Bürgerspital in der heutigen Kliniklandschaft für sinnvoll hält und welche Synergien sich ergeben. „In der modernen Gesundheitswirtschaft kann man ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit Notfallversorgung leider nicht mehr kostendeckend betreiben.“ Das gehe auch vielen anderen Betreibern so, die Erlössituation sei „deprimierend“. Deshalb sei es notwendig, wirtschaftlich attraktive Alleinstellungsmerkmale zu schaffen, über die man die anderen Bereiche querfinanzieren könne.
Gläser nennt die Notaufnahme: Ein Notfall werde im Schnitt mit 40 Euro vergütet, doch die Kosten lägen im Schnitt bei um die 200 Euro. Viele Betreiber kapitulierten, weil sie nicht Millionen in die Erhaltung des Betriebs stecken könnten.
Warum Gläsers Westfalenklinik-Gruppe das mit dem gemeinnützigen Bürgerspital besser können will? Eben durch die Spezialisierung in Bereichen wie Adipositaschirurgie, aber auch plastischer und rekonstruktiver Chirurgie oder bariatrischer Endoskopie. Die Gruppe selbst habe er mit einem Geschäftspartner vor mehr als fünf Jahren gegründet, Teilbereiche seien aber schon mehr als 25 Jahre am Markt und hätten den steten Wandel des Gesundheitswesens erfolgreich überdauert.
Gläsers Gruppe sieht in Wertheim Chancen zum Wachstum: Die Firma Weight Doctors hat hier ihre Nationalklinik eingerichtet, kann Fälle behandeln, die in anderen Kliniken, wo man sich eingemietet hat, bisher nicht behandelt werden konnten. Dafür nutzt und bezahlt sie Kapazitäten des Bürgerspitals. Das ist als Grund- und Regelversorger im Grunde dreigeteilt: Kliniken für Chirurgie, Innere Medizin mit Schlaganfalleinheit sowie eine Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin mit ihren Fachabteilungen. Die Nationalklinik gehört zur Chirurgie. Die Webseite, die über das Angebot informiert, soll innerhalb der nächsten zwei Wochen online gehen, verspricht Gläser.
Drei Faktoren entscheidend
Für die Standortwahl in Wertheim ist nicht etwa entscheidend gewesen, dass Gläser als Sohn des Ehrenbürgers und ehemaligen Oberbürgermeisters Stefan Gläser selbst Wurzeln in der Main-Tauber-Stadt hat, sondern das Aufeinandertreffen dreier wichtiger Faktoren: Als Weight Doctors könne man es sich nicht leisten, ein eigenes großes Gebäude mit „möglicherweise achtstelligem Gesamtinvestitionsbetrag“ zu kaufen, außerdem seien die 17.000 Quadratmeter Fläche für die Zwecke der Gruppe deutlich zu groß, macht Gläser klar. Für die anstehenden Aufgaben bräuchte man maximal die Hälfte. Doch die Stadt hat das Gebäude gekauft, die Rehaspezialisten von Mediclin – das Ende Februar erste Patienten aufgenommen hat – sowie das Dialysezentrum belegen die weiteren Flächen.
Als dritter Faktor sei schließlich die zusätzliche Spezialisierung dazugekommen: „Wir brauchen eben etwas, was uns einzigartig macht, etwas, was uns abhebt von anderen Krankenhausbetrieben hier in der Region“, sagt Gläser. Und etwas, das nicht in Konkurrenz zu bereits in der Region vorhandenen Angeboten steht. Deutschlandweit gebe es zwar 104 Adipositas-Zentren, doch keine in der Nähe, sagt Gläser.
Es gehe darum, übergewichtige Menschen auch im Versicherungsrahmen behandeln zu können, bisher könne man ausschließlich Selbstzahler und Privatpatienten annehmen. Für Wertheim habe man nun das Einverständnis der Krankenkassen und auch des Gesundheitsministeriums. Denn es gehe auch um die Behandlung krankhaften Übergewichts, einer Aufgabe des öffentlichen Gesundheitssystems.
Über die Gruppe will man auch Patienten von außerhalb nach Wertheim bringen: 80 Prozent der bisher 25.000 Patienten im Jahr müsse man wieder wegschicken, weil die Kassen nicht zahlen. Durch die Nationalklinik in Wertheim soll sich das ändern, Gläsers Gruppe verspricht sich so Tausende neue Patienten für die Main-Tauber-Stadt – und entsprechende Einnahmen. Stand jetzt seien schon 30 größere Adipositas-OPs mit Patienten aus ganz Deutschland geplant.
Zurück zum Bürgerspital: Man habe von Beginn an klar gemacht, dass man für den Betrieb einer Notfallversorgung Unterstützung durch öffentliche Gelder brauche. 3 Millionen Euro habe man kommuniziert, „die Stadt hat gut verhandelt“, bis man sich auf 2,75 Millionen Euro geeinigt habe. Angesichts von vorher für die Rotkreuzklinik prognostizierten 5 bis 6 Millionen Defizit pro Jahr habe sich das Risiko für die öffentliche Hand im Grund halbiert. Alles, was über die 2,75 Millionen Euro hinausgehe, ist Sache des Klinikbetreibers.
Gläser erwartet in der Grund- und Regelversorgung ein Defizit zwischen 3,5 und 4,5 Millionen Euro im Jahr. Schon daher gebe es ein großes Interesse, sparsam zu wirtschaften. Es sei keineswegs so, dass man sich an Überschüssen bereichern wolle, während Verluste die öffentliche Hand tragen müsse.
Gläser räumt auch mit Aussagen auf, man hätte das Konstrukt besser oder anders machen können: Über den ganzen Zeitraum habe es kaum Interessenten für den Klinikbetrieb gegeben, man sei zum spätestmöglichen Termin eingestiegen:
„Die Geier waren hier schon über dem Gebäude, als ich hier mit dem Stadtverantwortlichen durch die Räume gegangen bin“,
sagt Gläser. Zweitverwerter hätten es schon auf sämtliches Klinikinventar abgesehen gehabt.
„Wären wir eine Woche später gekommen, wäre nichts mehr zu machen gewesen.“
Öffnung als Signal
Man habe die Notfallversorgung von Anfang an geöffnet, um zu zeigen, dass man das Engagement ernst meine – allerdings im Rahmen, wie man es bisher finanziell und personell vertreten könne. Alles bisher Bestehende sei Vorleistung, die man nicht budgetiert habe – und noch keinen Cent gesehen (siehe Hintergrund). Man betreibe lieber eine stabile und sichere Notfallversorgung mit eingeschränkten Öffnungszeiten als einen unsicheren 24-Stunden-Betrieb, den man immer wieder abmelden müsse.
Gleichwohl gibt es große Fortschritte: „Der Einsatz der Truppe ist gigantisch“, sagt Gläser. Röntgen ist seit einer Woche möglich, ab 1. April soll der Betrieb eines Computertomographen und dann auch der des MRT dazukommen. Gesetzliche Auflagen sorgten dafür, dass es so lange dauere.
„Wir könnten, aber wir dürfen noch nicht“, sagt Gläser.
Um das Angebot ausbauen zu können, brauche man die gesicherte Zusage über die Finanzierung.
„Sonst wird es das nicht geben und sonst wird es auch die Notfallversorgung, wie wir sie heute erleben, in dieser Form nicht weitergeben können. Das ist die Realität“,
macht Gläser klar.
Leider müsse man
„wiederholt erleben, dass Deadlines durch die öffentlichen Verantwortungsträger geschoben worden sind“,
übt er Kritik an der mangelnden Planungssicherheit. Für den weiteren Aufbau des Betriebs brauche man zu den bisher vorhandenen 100 Mitarbeitern 30 bis 40 weitere, die man nun über den freien Markt anwerben müsse. Bis man sie eingearbeitet habe, dauere es drei bis vier Monate. Man zahle Tarifgehälter, sei aber nicht im Tarifvertrag, sagt Gläser auf Nachfrage aus dem Publikum.
Appell der Kommunalpolitik
Er sieht sein Angebot nicht als Konkurrenz zu bestehenden Krankenhausstrukturen der Region, beispielsweise der BBT-Krankenhäuser im Main-Tauber-Kreis oder dem Klinikum Main-Spessart. Überschneidungen gebe es nur bei der Notfallversorgung, und da sei der Standort Wertheim notwendig, weil sonst die Wege unzumutbar weit wären. Auch CDU-Kreis- und Gemeinderat Axel Wältz plädiert für mehr Zusammenhalt im Landkreis und die Wichtigkeit aller drei Krankenhausstandorte.
Jochen Müssig macht klar, dass man auch nach der Kreistagsentscheidung am Mittwoch „weiter bohren“ werde. Je nachdem, was vom Kreis komme, müsse sich Wertheims Gemeinderat am 22. März in einer Klausur zusammensetzen:
„Wenn vom Kreis der Betrag kommt, wie er avisiert ist, wird in der Haushaltsklausur darüber zu beraten sein: Wie schließen wir die Lücke, die sich jetzt im Haushalt auftut. Da müssen wir schauen, wo wir im Haushalt diesen Restbetrag herausnehmen können.“
Die Stadt selbst hatte die Beträge, die sie sich vom Landkreis wünscht, nie öffentlich kommuniziert. Anfangs wurde ein siebenstelliger Betrag kolportiert, später weniger. Klar ist, dass eine Lücke bleiben dürfte.
„Was dieses Haus jetzt braucht, ist Vertrauen und Zuspruch unserer Bürger, damit es wachsen und gedeihen kann“,
betont Müssig.
Quelle: WERTHEIM DONNERSTAG, 13. MÄRZ 2025 15