Die neuen Schlankmacher der Pharmaindustrie werden als Wundermittel gefeiert. Doch wenn die Kilos weg sind, bleibt oft viel schlaffe Haut zurück. Schönheitschirurgen verdienen gut daran.
Von Bettina Weiguny
Die Abnehmspritze ist ein Segen für viele Übergewichtige. Plötzlich purzeln die Pfunde. Innerhalb kürzester Zeit verlieren sie 15 oder 20 Kilogramm Gewicht, ohne große Selbstgeißelung. Ohne ständige Heißhungerattacken. Und viele, beglückt vom schnellen Erfolg, machen weiter, lassen 30 oder 40 Kilo, manche gar 60 Kilo hinter sich.
Solche Erfolge im Kampf gegen Fettleibigkeit hat es noch nie gegeben. Das Geschäft mit den Wundermitteln boomt weltweit. Die Aktienkurse der Anbieter, allen voran der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk, schnellten im Sommer 2023 steil nach oben, als klar wurde, welches Potential die Spritzen haben, wobei hier mittlerweile Korrekturen nach unten eingetreten sind.
Im Schlepptau beflügelt der Hype um Wegovy, Mounjaro & Co. (so die Markennamen der Präparate) einen weiteren Sektor in der Medizin. Die Spritze nämlich hat einen unschönen Nebeneffekt: Die Haut macht die radikale Schrumpfkur nur bedingt mit. Zurück bleiben bei vielen Menschen hängende Hautlappen am Bauch, an den Brüsten, den Oberarmen und Oberschenkeln. Hier sind die Künste der ästhetischen Chirurgen gefragt, die den schlanken, aber erschlafften Körper wieder in Form bringen.
„Die Nachfrage nach Hautstraffungen und Faltenreduzierung nach starker Gewichtszunahme ist innerhalb der jüngsten beiden Jahre geradezu explodiert“, sagt Alexander Gläser, der Gründer der privaten Klinikkette Weight Doctors aus Dortmund, die sich auf die Behandlung von Adipositas-Patienten spezialisiert hat. Bei Männern stehen Hautstraffungen und Körperoptimierungen vor allem an der Brust inzwischen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Ästhetische Chirurgie schon an zweiter Stelle für einen plastisch-ästhetischen Eingriff, direkt hinter der Straffung hängender Oberlider. Dabei kommt eine ganze Palette sogenannter postbariatrischer Behandlungen ins Spiel. Also alles, was sich nach einer radikalen Gewichtsreduktion wegschneiden, glätten, lasern oder absaugen lässt.
Allein im letzten Jahr sind die Zahlen der Haut- und Körperstraffungen in den Weight-Doctors-Privatkliniken um 30 Prozent gestiegen. Für das gerade begonnene Jahr rechnet Geschäftsführer Gläser mit einer noch größeren Nachfrage. „Wir gehen von einem erneuten Plus von 30 bis 50 Prozent aus“, sagt er. Der Trend kam selbst für viele Fachleute wie aus dem Nichts. „Die Abnehmspritze war ein Zufallsprodukt der Pharmaindustrie“, sagt Gläser. Die Wunderwirkung hatte niemand auf dem Schirm. Zunächst war der Stoff nur als Arzneimittel für Diabetiker entwickelt worden, mit einem Mal aber wollten sich alle spritzen, die an Übergewicht leiden.
Vor diesem Zeitpunkt spielten Hautstraffungen in der Adipositas-Behandlung kaum eine Rolle, da die Patienten viel langsamer abnahmen als heute und meist viel weniger Gewicht verloren. Da hatte die Haut noch Zeit, mit zu schrumpfen. „Heute aber hängt bei manchen Patienten die Bauchhaut runter bis auf die Schenkel“, schildert Gläser, der sich nach einer Karriere im Gesundheitssektor selbständig gemacht hat, um Weight Doctors zu gründen. Heute ist er Geschäftsführer und einer von drei Gesellschaftern.
Die Abnehm-Spezialisten aus Dortmund sind Pioniere in dem Marktsegment, haben sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der führenden Anbieter in Deutschland für die Behandlung von Adipositas-Patienten entwickelt. 25 Weight-Doctors-Privatkliniken haben seit 2018 in Deutschland eröffnet, unter anderem in Aachen, Berlin, Frankfurt, Leipzig, Heidelberg, München und Dortmund. Dazu kommen eine Handvoll Häuser in England, den Niederlanden, Österreich, Südafrika und Namibia. Übergewicht ist schließlich ein globales Problem.
Die Kette unterstützt übergewichtige Patienten bei ihrem Wunsch, Gewicht zu verlieren, von Anfang bis zum Ende. Zuerst kommt das Abnehmen selbst. „Wir helfen ihnen beim Reset“, sagt Gläser dazu. „Dabei wird individuell abgesprochen, wie wir vorgehen, ob mit Abnehmspritze, Magenballon, Magenverkleinerung oder einer Kombination daraus.“ Danach beginnen die postbariatrischen Behandlungen. Das „Reshaping“, wie Gläser es nennt.
Wir treffen den Klinikmanager zusammen mit dem Chefarzt Gerhard Schüder in Wertheim, am jüngsten Standort, der „Weight Doctors Nationalklinik“, die oberhalb der Stadt auf einem Hügel thront. Bei Gläser klingt alles, was hier getan wird, nach den jüngsten Weisheiten aus einem Management- oder Coaching-Seminar. So spricht er blumig von der „body journey“, auf der die Klinik die Patienten begleite. Von einem notwendigen „Kickstarter“, einem „Reset“, dem Wunsch nach einer Body-Optimierung und der Körpertransformation zum neuen Ich.
Im Bereich des Reshaping gibt es verschiedene Möglichkeiten. Bei nur leichten Erschlaffungen lässt sich die Haut mithilfe von speziellen Radiowellenverfahren oder durch Erhitzung mit Heliumgas wieder straffen. In der Regel aber entfernen die Ärzte die Hautlappen operativ. Das geht bis zu einem kompletten „360-Grad-Bodysculpting“, erklärt Chefarzt Schüder. Er und sein Team straffen dabei in einer dreieinhalbstündigen OP die Haut vom Bauch über die Hüften und den Po einmal rundum. Bei Männern saugen sie dann oft auch noch die Männerbrust ab.
Die schlaffen Hautlappen sind in vielen Fällen nicht nur optisch ein Problem. Schüder verweist auf die gesundheitsgefährdenden Probleme. „Hautpilze können sich einnisten, Geschwüre in den Falten entstehen.“
Bisher waren solche Behandlungen Privatpatienten oder Selbstzahlern vorbehalten. Die Rechnungen sind nicht ohne. Eine einfache Therapie, bei der über zwölf Monate ein Magenballon eingesetzt wird, kostet für Selbstzahler etwa 3500 bis 5000 Euro. Ohne anschließende Straffungen. „Wenn Patienten aber eine sehr aufwendige Therapie brauchen und ein ganzes Maßnahmen-Bündel erforderlich wird, sind sie schnell bei 20.000 Euro oder mehr“, überschlägt Gläser.
„Wir haben extrem viele Anfragen von Kassenpatienten, die sich eine Behandlung bei uns privat nicht leisten können“, berichtet der Klinikgeschäftsführer. Auch denen können die Ärzte am Standort in Wertheim dank einer neuen Zulassung für Kassenpatienten erstmals helfen. In der Nationalklinik übernehmen bei entsprechender Adipositas-Indikation nun auch die gesetzlichen Kassen die Behandlung. Geplant sind hier mittelfristig etwa 1000 Adipositas-OPs, Körper- und Hautstraffungen im Jahr. „Wir wollen Wertheim zu einem der führenden Adipositas-Zentren in Deutschland ausbauen“, sagt Gläser.
Gut 200 Adipositas-Zentren an Kliniken gibt es in Deutschland. Aufgrund der geplanten Krankenhausreform wird ein großer Teil davon voraussichtlich allerdings in nächster Zeit geschlossen, um die Kompetenz an wenigen großen Standorten zu bündeln. Daran gibt es Kritik. In Werne beispielsweise haben wütende Patienten und Ärzte so lange gegen eine Schließung protestiert, bis kürzlich zumindest eine vorläufige Weiterführung zugesichert wurde.
An mangelnder Nachfrage liegt es nicht. 25.000 Adipositas-Operationen finden jedes Jahr in Deutschland statt. Dazu kommen ebenso viele kleinere invasive Eingriffe. Die Wartezeiten sind heute schon lang. Die Zahl der Patienten, die Abnehmspritzen nutzen, liegt viel höher. „Schätzungsweise eine halbe bis eine Million Menschen in Deutschland greifen zur Abnehmspritze“, sagt Gläser.
Sinnvoll sind die absehbaren Schließungen aus Sicht von Weight-Doctors-Gründer Gläser nicht. „Es wird zu Engpässen und ewig langen Wartezeiten kommen.“ Schon heute seien 46 Prozent aller Frauen und 56 Prozent der Männer in Deutschland übergewichtig. „Und das Problem verschlimmert sich fortlaufend: Der Anteil der übergewichtigen Menschen steigt hierzulande innerhalb von zehn Jahren um zwei Prozentpunkte. Das ist sehr viel. In 30 Jahren, also mit der nächsten Generation, haben wir dann Verhältnisse wie in den USA heute.“
Um auch Kassenpatienten behandeln zu können, musste der private Klinikbetreiber ein komplettes Krankenhaus mit Notaufnahme und allen wesentlichen Abteilungen für die Grundversorgung übernehmen. In Wertheim bot sich diese Gelegenheit. Ein gewagter Schritt für den privaten Anbieter, der damit seinen Umsatz von zuletzt 35 Millionen Euro auf 55 bis 60 Millionen Euro im Jahr steigert.
Bei der Nationalklinik handelt es sich um ein nagelneues, erst vor sechs Jahren errichtetes Gebäude auf dem neuesten Stand der Technik, mit dem der vorherige Betreiber vor einem halben Jahr in die Insolvenz schlitterte. „Vor allem die Notfallversorgung hat ihnen das Genick gebrochen“, sagt Gläser dazu. Eine zentrale Notaufnahme sei in Deutschland kaum mehr rentabel zu betreiben. Nun soll die Adipositas-Fachabteilung die Verluste aus der Notaufnahme auffangen. Mehr noch: „Durch die Spezialklinik wollen wir perspektivisch auch an diesem Standort Gewinne erwirtschaften.“ Erst mal aber müssen sie drei Millionen Euro in das Haus und den Aufbau des Adipositas-Zentrums investieren. Die Stadt, der sehr am Erhalt des Krankenhauses gelegen ist, schießt einen ähnlichen Betrag zu.
Für Gerhard Schüder, den Ärztlichen Direktor und Chefarzt der Chirurgie an der Nationalklinik, ist es eine Rückkehr in das Haus, in dem er zuvor schon viele Jahre die Chirurgie geleitet hatte. Vor 30 Jahren habe er nicht gedacht, dass er eines Tages mal mit Abnehmspritzen, Magenballons und Hautstraffungen sein Geld verdienen würde, sagt er. „Da hatten wir vielleicht alle paar Monate einen Fall für eine Hautstraffung – das war in den meisten Fällen eine junge Mutter nach einer Mehrlingsschwangerschaft.“ Heute aber werden gewichtsbedingte Behandlungen in der Schönheitschirurgie immer wichtiger.
Natürlich weiß Schüder um die Vorurteile gegen seine Zunft, die manchmal als Botox-Maschinerie und Busen-Vergrößerer dargestellt wird. Was gemeinhin unter dem Begriff Schönheits-OPs belächelt werde, sagt Schüder, spiele im Alltag der Schönheitschirurgen kaum eine Rolle. „Es gibt die Promis, die sich ein Facelifting nach dem anderen verpassen oder ihren Busen Dolly-Buster-mäßig aufbauschen lassen“, erzählt der Chirurg. „Aber das sind seltene Ausnahmen.“ In seinen dreißig Jahren als ästhetischer Chirurg sei es vorwiegend um persönliche Schicksalsschläge gegangen. Um Menschen, die tief unglücklich sind. Die Patienten in den Adipositas-Spezialkliniken haben oft eine lange Leidensgeschichte und zahlreiche Diäten hinter sich, sagt Schüder. „Immer wieder hat sie der Jo-Jo-Effekt eingeholt.“
Der Chefchirurg arbeitet deshalb mit einer einfachen Formel: „Wir fragen die Patienten, wie lange sie bei ihrer längsten Diät durchgehalten haben.“ Diese Zeitspanne verdoppele er. Hat jemand ein halbes Jahr gefastet, bevor er wieder in alte Essgewohnheiten zurückgefallen ist, setzen die Mediziner nun ein ganzes Jahr an, um das Ziel zu erreichen. „Wir wollen keinen Jo-Jo-Effekt haben und versuchen, den Zeitraum für einen anhaltenden Lebenswandel gezielt zu verlängern. Denn dieser ist langfristig immer entscheidend.“
Nach erfolgreicher Gewichtsabnahme müssen die Patienten ihr neues Gewicht dann etwa ein Jahr halten, bevor eine Haut- und Körperstraffung infrage kommt. „Es muss ein Umdenken im Kopf stattfinden, sonst ist womöglich alles für die Katz“, sagt der Chirurg.
Nicht jede Entwicklung des Abnehm-Hypes heißt der Mediziner gut. „Es kommen heute auch sehr schlanke Frauen zu uns, die unbedingt eine OP haben wollen, um superschlank zu werden.“ Das findet der Chefarzt absurd. „Die weisen wir ab, das machen wir nicht.“
Ansonsten wollen die Weight Doctors ihre Patienten glücklich machen. „Wir helfen ihnen zu einem neuen äußeren Ich“, verspricht Geschäftsführer Gläser. „In der Folge entstehen in ihnen oft neue Ideen, neue Visionen: Sie wechseln den Beruf, fangen an, Sport zu machen, werden kreativ oder initiieren positive Veränderungen in der Partnerschaft.“ Chefarzt Schüder fasst sich kürzer: „Das Ziel ist, dass man hinterher im Bikini oder der Badehose nichts mehr von unserem Eingriff sieht.“
Quelle: Zeitung – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5. Januar 2025, Nr. 1o