Der Krankenhaus-Aufbauer

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WERTHEIM-REINHARDSHOF. Ein einmal geschlossenes Krankenhaus wieder zu öffnen: Dieser Auftrag dürfte für Alexander Gläser einzigartig sein. Der 39-Jährige soll mit seiner Westfalenklinik-Gruppe künftig in Wertheim die Notfallversorgung gewährleisten. Die Vorbereitungen sind weit gediehen – auch beim Personal.

»Wir sind in den operativen Umsetzungsplanungen so weit, dass wir ein Pflegeteam stehen haben, bei den ärztlichen Gesprächen sehr weit fortgeschritten sind und vor allem bei den notwendigen Infrastrukturen und Dienstleistungspartnern so weit ausgewählt haben, dass wir in die konkrete Umsetzungsphase gehen können«, sagt Gläser im Gespräch mit unserer Redaktion. Einen Schreibtisch im Bürotrakt der ehemaligen Rotkreuzklinik hat der geschäftsführende Gesellschafter der Westfalenklinik-Gruppe noch nicht, stattdessen trifft man sich in der ehemaligen Klinik-Cafeteria.

Notfälle wieder versorgen
Im von der Stadt Wertheim gekauften Klinikgebäude soll als Bürgerspital ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit allen nötigen Abteilungen und Notaufnahme entstehen, die Westfalenklinik-Gruppe soll es betreiben. Dazu gehört dann auch ein Fachklinik für Adipositas-Chirurgie. Für beides sind insgesamt 95 Betten vorgesehen.

Gläser hat viel zu koordinieren, mailt, telefoniert, führt Gespräche mit Mitarbeitern und seinem künftigen Leitungsteam. »Alle Beteiligten arbeiten daran, tatsächlich noch einen Betrieb zum Ende des Jahres sicherzustellen«, erklärt er. Von Anfang an habe man deutlich gemacht, dass man den Krankenhausbetrieb erst Stück für Stück hochfahren könne. Doch das erklärte Ziel sei, Anfang 2025 »alle wesentlichen Funktionen des Krankenhauses« am Laufen zu haben und dann in der Breite Personal nachrekrutieren zu können. »Wir gehen davon aus, dass es die ersten drei oder vier Monate knubbelig wird.«

Flexibilität und gegenseitiges Verständnis seien gerade in der Anfangsphase gefragt – und das sei auch den Mitarbeitern bewusst: »Der unbändige Wille, nach einem langen Tal der Tränen mit dem Krankenhaus wieder eine Perspektive zu haben, ist in den Köpfen angekommen.«

Mitarbeiter überzeugen
Wie sehr künftige Mitarbeiter vom Vorhaben überzeugt sind, zeigen die Bewerbungen. »Wer kann sagen, dass er innerhalb von acht Tagen 100 Bewerbungen erhalten hat? Ein Großteil davon von Menschen, die hier auch zuvor gearbeitet haben und damit Stärken, Schwächen sowie Strukturen kennen«, sagt Gläser. Diese Voraussetzungen seien unheimlich wertvoll. Mittlerweile habe man weit über 200 Bewerbungen »von ausgezeichneter Qualität« erhalten, personell sei man bei etwa 90 Prozent, um loslegen zu können.

Lücken gebe es noch bei Assistenzärzten und im nicht-ärztlichen Bereich, vor allem bei Anästhesie- und intensivmedizinischem Personal. Bei Fachärzten sei man gut aufgestellt, freue sich aber auch über Bewerbungen: »Jeder, der ein Kompetenzprofil mitbringt, das uns nützlich ist, hat extrem gute Chancen, auch als Facharzt in sehr gestaltender Rolle mitwirken zu können«, sagt er. »Und die Dinge auch ein bisschen anders gestalten und denken zu können, als das im klassischen Krankenhaus der Fall ist.«

Will mit dem »Bürgerspital Wertheim« Mitte Dezember an den Start gehen: Alexander Gläser.
Auch in der Branche wird das, was in Wertheim gerade passiert, mit Interesse verfolgt. »Ob das einmalig ist, weiß ich nicht. Aber es ist in heutigen Zeiten eher der Weg, Krankenhäuser zu schließen, statt zu öffnen«, sagt Gläser. Und so bewege sich die Spanne der Reaktionen von Skepsis und Verwunderung bis zu Anerkennung. »Je länger man sich mit den Gesprächspartnern ausgetauscht hat, desto mehr Überzeugung für die Sache haben wir erlebt.« Und: Alle hätten darauf gedrungen, weiter über den Fortgang informiert zu werden.

Viele günstige Faktoren
»Es ist großes Glück, wie die Faktoren aufeinander gefallen sind, dass das Krankenhaus eine zweite Chance erhält«, sagt Gläser: Bürger, die gegen die Schließung auf die Straße gegangen seien, niedergelassene Ärzte, die den Kampf aufgenommen hätten, Unterstützung von Stadtverwaltung und Gemeinderat, aber auch genehmigender Ebenen wie Landesregierung, Regierungspräsidium oder Kostenträgern wie Krankenkassen. Zudem sei die Krankenhaus-Ausstattung noch nicht ausgeschlachtet und verkauft gewesen.

Das Modell in Wertheim
Der größte Teil von dem, was im Bürgerspital vorgesehen ist, gehört nicht zum bisherigen Kerngeschäft Gläsers: Die Westfalenklinik-Gruppe ist auf plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie spezialisiert, die Firma Weight Doctors vor allem auf Adipositas-Behandlungen, beispielsweise durch Magenverkleinerungen – ein Teil der sogenannten bariatrischen Chirurgie. »Wir haben uns in den letzten Jahren kontinuierlich in neue Bereiche vor allem in der Chirurgie und der Endoskopie hineinentwickelt, die ursprünglich nicht Kerngeschäft waren, heute aber zu den Kernelementen unseres Wirtschaftens gehören«, sagt Gläser.

Das Modell in Wertheim sei sinnvoll, denn wenn man auf ein Krankenhaus mit Funktionsabteilung und Labor, Radiologie, Intensivstation, Zentral-OP und Sterilisation zugreifen könne, könne man die volle Breite der bariatrischen Chirurgie nutzen. Und damit künftig auch Patienten mit besonderen Vorerkrankungen behandeln, was bisher nicht möglich gewesen sei. »Das Krankenhaus profitiert davon, dass auch die privatklinischen Patienten – also Privatpatienten und Selbstzahler – dadurch die Existenzgrundlage für die Versorgung der Kassenpatienten des Krankenhauses stützen und finanzieren.«

Ohnehin habe man den Zuschlag nur unter der Voraussetzung bekommen, die Notfallversorgung und die Grund- und Regelversorgung von Stadt und Region zu erhalten, macht Gläser deutlich. Und: »Das unternehmerische Risiko tragen zu einhundert Prozent wir. Wir bekommen kein Geld geschenkt.« Die in Rede stehenden 2,75 Millionen Euro Defizitausgleich für den Betrieb der Notfallversorgung seien ein Maximalbetrag. »Wir wollen das Defizit, dass aufklafft, zumindest in Teilen kompensieren. Und das, was wir nicht schaffen, erwarten wir von der Stadt als Unterstützung, damit wir die Notfallversorgung im bekannten Rahmen erhalten können.« Sollten die Verluste höher ausfallen, müsste das sein Unternehmen tragen.

Viele Vorleistungen
Insgesamt ist die Westfalenklinik umfassend in Vorleistung gegangen, weitgehend basierend auf Absichtserklärungen und ohne endgültig unterschriebene Verträge. Erst die Genehmigung des Regierungspräsidiums vor wenigen Wochen hat es beispielsweise möglich gemacht, Arztstellen zu besetzen. »Wir haben die ersten Anstellungsverträge verschickt, die ersten Vereinbarungen getroffen. Wir erwarten jetzt immer mehr konkrete Zusagen, um Ende des Jahres und Anfang nächsten Jahres starten zu können«, sagt Gläser.

Im am 17. Oktober im Bundestag verabschiedeten Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz sieht Gläser »Fluch und Segen zugleich«: Künftig sollen nur noch 40 Prozent der Krankenhausleistungen über Pauschalen abgegolten werden, für 60 Prozent gibt es Vorhaltepauschalen, um damit insbesondere Krankenhäuser im ländlichen Raum zu stützen. In urbanen Gebieten würden so Doppelstrukturen abgebaut, sagt Gläser. Doch in ländlichen Regionen müsse klar sein, was die jeweiligen Krankenhäuser noch behandeln dürften und was nicht. Er erwartet Nachbesserungen auf Länderebene.

Hohes Tempo
Derzeit arbeite man »Tag und Nacht« daran, das Krankenhaus an den Start zu bringen. »Was wir hier in viereinhalb Monaten geschafft haben, daran arbeiten andere zwei Jahre«, erklärt Gläser. Doch noch habe man keinen funktionierenden Krankenhausbetrieb, auch wenn er zuversichtlich sei, den Zeitplan einzuhalten. Wichtig sei auch, das zu kommunizieren, was man könne – und was nicht. Dazu sei der Dialog mit niedergelassenen Ärzten, aber auch Nachbarkrankenhäusern und vor allem den Bürgern elementar. Es solle nicht das Bild entstehen, dass man eine reine Fachklinik für bariatrische Chirurgie sei. »Unter dem gleichen Dach gibt es künftig genauso eine Fachklinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, eine Fachklinik für Unfallchirurgie, eine Fachklinik für Orthopädie und eine Fachklinik für Innere Medizin sowie eine Notaufnahme.«

Alle Augen richteten sich auf Mitte Dezember: In der ersten Phase arbeite man bereits daran, den Betrieb vorzubereiten, in einer zweiten werden mit den medizinischen Teams die Routineabläufe implementiert, bevor als dritte Phase schon mit poliklinischen Ambulanzen, Praxisbetrieb und elektiven Operationen gearbeitet werden kann. »Die notfallmedizinische Versorgung findet ab dem Punkt statt, ab dem wir wissen, dass wir rund um die Uhr die Zentrale Notaufnahme mit Intensivabteilung betreiben können. Und das ist Stand jetzt ab Januar der Fall, vielleicht auch früher.«

Zu den Diskussionen zwischen Stadt und Landkreis um eine mögliche Kostenbeteiligung des Main-Tauber-Kreises
Gläser sagt, man habe dabei unterstützt, einen Defizitausgleich »rechtssicher, EU-konform und genehmigungsfähig von den Rechtsaufsichtsbehörden« auf die Beine zu stellen. Die Stadt habe alle Argumente an der Hand, »die Partner auf verschiedenen Ebenen von diesem Modell zu überzeugen«, so Gläser. »Ich trage gern dazu bei, mit unserer Auffassung das politische Verständnis für dieses kritische Projekt zu fördern. Aber am Ende des Tages müssen die Beteiligten selbst sprechen und sich einander überzeugen. Ich glaube aber, da ist man auf einem sehr guten Weg.«

Gemeinderat entscheidet heute
Am Mittwoch hat der Kreistag grundlegend den Weg für mögliche finanzielle Hilfen freigemacht, an diesem Montag ab 17 Uhr soll Wertheims Gemeinderat eine sogenannte Ausgleichs- und Betrauungsvereinbarung zwischen der Stadt Wertheim und der Bürgerspital Wertheim gGmbH beschließen, mit der der Betrieb der Notfallversorgung unterstützt wird.

Mit Namen seines künftigen Personals hält sich Gläser noch zurück – mit Ausnahmen: Ärztlicher Direktor wird mit Gerhard Schüder ein renommierter Chirurg mit großem Netzwerk, der in Wertheim durch langjährige Tätigkeit wohlbekannt sein dürfte. »Wenn wir mit ihm und seinem Team starten, wird das viele Zweifel, Sorgen und Ängste, die mit dem Start eines neuen Krankenhauses verbunden sind, zur Seite wischen«, ist Gläser überzeugt.

Beteiligt ist außerdem Karl Miller als Direktor der Adipositas-Chirurgie der Weight Doctors. Oliver Scheffel wird Leiter des Adipositas-Zentrums am Bürgerspital. Weitere Namen würden in den nächsten Wochen folgen, sagt Gläser, der ankündigt: »Die Bevölkerung darf sich darauf freuen, dass medizinische Kompetenz und auch Empathie wieder in dieses Haus einziehen werden.«

Quelle: Wertheim – Zeitung – MONTAG, 28. OKTOBER 2024 15

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